Traumawissen

│Speicherung traumatischer Erlebnisse│

Speicherung traumatischer Erlebnisse

The body keeps the score
Bessel van der Kolk

Wichtig zum Verständnis eines Traumas und dessen Auswirkungen auf Körper, Geist und Psyche ist die Kenntnis, wie wir traumatische Erlebnisse abspeichern. Im Gegensatz zu „gewöhnlichen“ Erinnerungen (den guten wie den schlechten), die sich im Laufe der Zeit dynamisch verändern, bleiben traumatische Erinnerungen immer gleich: Sie sind statisch. Dies lässt darauf schließen, dass sie nach einem anderen Muster als unsere gewöhnlichen Erfahrungen abgespeichert werden.

Im Folgenden will ich diese Besonderheit der Speicherung traumatischer Erlebnisse erläutern. Laut Peter Levine gibt dabei die Unterscheidung von „expliziten“ sowie „impliziten“ Erinnerungen entscheidende Hinweise auf die Art der Speicherung:

Explizite Erinnerungen (Speicherung im Gehirn)

Explizite Erinnerungen sind diejenigen, die ganz „klassisch“ in unserem Gehirn gespeichert werden; Voraussetzung ist, dass unsere kognitiven Prozesse der Informationsverarbeitung wie auch der Speicherung zum Zeitpunkt des Geschehens funktionieren und nicht wesentlich beeinträchtigt sind. Zudem muss unser Gehirn bereits so weit entwickelt sein, dass diese Verarbeitungs- und Speicherungsprozesse generell zur Verfügung stehen (was in der Regel erst ab einem Alter gegeben ist, in dem Babys/Kleinkinder bereits sprachliche Fähigkeiten entwickelt haben); vorher ist eine bewusste Speicherung von Erlebnissen ohnehin nicht möglich – wir erinnern uns schlicht kognitiv nicht an Erlebnisse, die vor einem bestimmten Alter erfolgt sind.

Eine Besonderheit der Informationsspeicherung im Gehirn ist, dass diese Erinnerungen nicht statisch sind: Sie werden permanent in unserem Gehirn „umgebaut“, mit neuen Erfahrungen angereichert und den aktuellen Notwendigkeiten und Gegebenheiten angepasst. Kurz gesagt – wir erzählen eine Geschichte niemals zum wiederholten Male in absolut gleicher Form, lassen Aspekte unerwähnt oder bauen dafür andere Teile der Geschichte weiter aus.

Explizite Erinnerungen lassen sich, soweit wir uns erinnern, gezielt abrufen und als „komplette, sinnhafte Geschichte“ in unser Bewusstsein heben.


Implizite Erinnerungen

Ganz anders verhält es sich bei „impliziten Erinnerungen“: Diese lassen sich nicht gezielt abrufen. Sie treten vielmehr (meist unwillkürlich und unterbewusst) in Form einer „Collage“ von Körperempfindungen, Emotionen und (unterbrochenen) Verhaltensabläufen auf. Implizite Erinnerungen besitzen laut Levine eine emotionale und prozedurale Komponente, die bestimmte Verhaltensmuster beinhaltet; hinzu kommen kognitive Fragmente, die nur als „Gedankensplitter“ vorliegen und keine in sich schlüssige Geschichte darstellen können. In Fällen von Traumatisierungen machen sich solche impliziten Erinnerungen oft als sog. Flashbacks bemerkbar.

Die implizite Erinnerung ist meiner Auffassung nach überwiegend in Form von verfestigter Energie im Körper gespeichert (zumeist als Verspannung) und stellt im Grunde das dar, was als „Embodiment“ bezeichnet werden kann.


Embodiment

Als Belege hierfür können unter anderem folgende Aspekte genannt werden:

Zum einen unterliegen sowohl im Kampf-/Flucht als auch im Freeze-Modus (s.h. meine Erläuterungen zu den körperlichen Reaktionen) kognitive Funktionen einer erheblichen Einschränkung bis hin zur völligen Abschaltung: die Ereignisse können also in diesem Zustand gar nicht „explizit“ als sinnhafte Geschichte abgespeichert werden – allenfalls als Bruchstücke! Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich Menschen oft nicht an traumatisierende Erlebnisse erinnern können – sie konnten schlichtweg vom Gehirn nicht gespeichert werden.

Zum anderen tragen Menschen nachweisbar Speicherungen von Traumatisierungen in sich, die zu einem so frühen Zeitpunkt erfolgt sind, in dem das kognitive System noch gar nicht so weit ausgereift war um das Erlebnis im Hirn abspeichern zu können.

Diese „verkörperten“ Erinnerungen (Bessel van der Kolk nennt sie im Falle einer Traumatisierung: Verkörperter Schrecken) sind in der Tat statisch, festgefahren – ja geradezu eingekapselt im Körper.

Um es etwas bildhaft auszudrücken: Der Geist besitz die Gnade des Vergessens. Der Körper vergisst nicht!

 

Die Bearbeitung von Traumata muss Embodiment berücksichtigen

Vor dem Hintergrund dieses köperorientierten Ansatzes wird deutlich, dass eine Bearbeitung der Speicherungen und damit eine vollständige Heilung des Traumas immer den körperlichen Aspekt (in Form von Emotionen wie insbesondere in Form von erstarrten Handlungsmustern) mitberücksichtigen muss. Eine rein kognitive Herangehensweise greift in diesen Fällen zu kurz.

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Literatur:
(1) Levine, Peter A.: Sprache ohne Worte.
(2) Levine, Peter A.: Trauma und Gedächtnis. Die Spuren unserer Erinnerung in Körper und Gehirn.
(3) Levine, Peter A.: Vom Trauma befreien. Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen.
(4) Van der Kolk, Bessel: Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann.

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