Grundlegende Folgen einer Traumatisierung
Zum grundlegenden Wesenskern einer Traumatisierung gehört, dass sich die Folgen auf allen Ebenen der menschlichen Existenz bemerkbar machen. Je nach Schweregrad sind erhebliche Einbußen der Lebensqualität in körperlicher, psychisch-emotionaler, kognitiver und sozialer Hinsicht die Folge.
Unsichtbare Folgen und Wiederholungszwang
Die aktuelle Forschung (einen wunderbaren Überblick geben die Werke von Bessel van der Kolk) belegt, dass bei traumatisierten Menschen bestimmte Vernetzungen im Gehirn im Vergleich zu nicht-traumatisierten Menschen nicht vorhanden sind und daher Informationen im Gehirn auf andere Weise verarbeitet werden. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die psychische und soziale Entwicklung insbesondere von jungen Menschen. Und es kann dazu beitragen, dass sich die ursprüngliche Traumatisierung weiter verstärkt und generalisiert.
Grundsätzlich bewirkt eine unverarbeitete Traumatisierung, so die immer wieder vertretene Ansicht, dass eine Person im Zeitpunkt des traumatisierenden Erlebnisses „stecken“ bleibt: Das heißt, die Person gestaltet fortan ihr Leben so, als würde das bedrohende Erlebnis in jedem Moment ihres Daseins weiterhin Bestand haben.
Als eine Folge dieses „Verhaftet-Seins“ in der Vergangenheit gilt der vielfach beschriebene Wiederholungszwang: Er zeigt sich darin, indem wir wieder und wieder in Situationen geraten, die das ursprüngliche Trauma sowohl offensichtlich als auch weniger offensichtlich wiederholen.
Sichtbare Folgen: Symptome
Mehr oder weniger klar sichtbare Folgen sind die vielfältigen, in der aktuellen Forschung bestens dokumentierten Symptome einer Traumatisierung. Diese Symptome können stabil, also permanent vorhanden sein. Sie können aber auch instabil sein, was bedeutet, dass sie kommen und gehen (zumeist ausgelöst durch bestimmt „Trigger“ oder Stress).
Einige der hier unten Symptome treten zeitnah zum traumatisierenden Ereignis auf. Andere wiederum können erst Monate oder gar Jahre nach der ursprünglichen Traumatisierung auftreten und werden oftmals beim ersten Erscheinen nur schwer mit dem zurückliegenden Ereignis in Verbindung gebracht. Üblicherweise treten die Symptome auch nicht einzeln, sondern in Gruppen auf. Häufig werden sie unbehandelt mit der Zeit zunehmend komplexer und verlieren teilweise die Verbindung zum ursprünglichen traumatischen Ereignis (wie z.B. bei einer generalisierten Angststörung).
Das macht die Diagnose, wenn sie sich nur auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht und nicht den gesamten Prozess betrachtet, extrem schwierig: Zum einen Diagnosezeitpunkt sind die Symptome vorhanden – zum anderen nicht. Dies ist auch der Grund, weswegen traumatisierte Menschen so oft unterschiedliche Diagnosen (wie z.B. „psychovegetative Dystonie“; „Depression“ etc.) erhalten.
Symptomdarstellung als Orientierungshilfe
Zu Beginn meiner folgenden Darstellung der potentiellen Symptome einer Traumatisierung möchte ich betonen, dass nicht jedes dieser Symptome durch ein Trauma verursacht wird; und auch nicht jeder Mensch, der eines oder mehrere dieser Symptome aufweist, ein Trauma hat.
Die hier zusammengetragene lange Liste an Symptomen ist nicht für diagnostische Zwecke (insbesondere im Sinne von ICD/DSM) gedacht. Sie soll Ihnen vielmehr eine Orientierung dafür geben, welche Traumasymptome im Laufe der Zeit auftreten können. Generell gibt es keine feste Regel, ob und wann ein Symptom auftreten wird.
Zudem erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Symptomdarstellung: Die Auflistung beruht auf Literaturquellen sowie hauptsächlich meiner eigenen Erfahrung und therapeutischen Arbeit mit traumatisierten Menschen.
Kategorisierung der Symptome nach Entstehung und Auswirkung
Basierend auf der Annahme, dass Traumatisierungen auf einem „Steckenbleiben“ sowohl im Kampf-/Fluchtmodus wie auch im Freeze-Modus basieren können (s.h. dazu meine Ausführungen zu den körperlichen Reaktionen im Zeitpunkt der Entstehung), kategorisiere ich die Darstellung der Symptome einerseits nach dem Modus ihrer Entstehung. Dies ist, liest man die vorherrschende Literatur, ein ungewöhnlicher Ansatz – stellt aber die logische Konsequenz aus den Erkenntnissen der Polyvagaltheorie nach Stephen Porges dar.
Zum anderen versuche ich, die Symptome im Hinblick auf den Schwerpunkt ihrer Auswirkungen in körperlicher, psychisch-emotionaler, kognitiver und sozialer Hinsicht zu klassifizieren. Die Zuordnung mag dabei manchmal nicht eindeutig sein – soll ihnen aber dabei helfen, ihre Wahrnehmung für die umfassenden Beeinträchtigungen einer Traumatisierung zu schärfen.
Literatur:
(1) Levine, Peter A.: Sprache ohne Worte.
(2) Levine, Peter A.: Trauma und Gedächtnis. Die Spuren unserer Erinnerung in Körper und Gehirn.
(3) Levine, Peter A.: Vom Trauma befreien. Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen.
(4) Van der Kolk, Bessel: Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann.